Wisente allgemein

Wisente allgemein

Ursprung

Die ersten Vorfahren des Wisents dürften lange vor der letzten Eiszeit im südlichen Asien beheimatet gewesen sein. Von dort dehnten sie ihr ursprüngliches Verbreitungsgebiet nach Norden und Westen aus, bis sie schließlich mit einigen Ausnahme den gesamten asiatischen und europäischen Kontinent besiedelt hatten. 

Der bekannteste Wisentvorfahre, der in zahlreichen Höhlenmalereien des Frühmenschen dargestellte Steppenwisent, dürfte während der letzten Eiszeit in großer Zahl über die weiten Kältesteppen Asiens, Europas und Nordamerikas gewandert sein. Mit dem Ende der Eiszeit verschwanden die gewaltigen Herden des Steppenwisents und der vermutlich im Kaukasus entstandene heutige Wisent besiedelte Zentral- und Westeuropa. 


Es wird angenommen, dass die Gattung Bison in der erdgeschichtlichen Epoche des Pliozän (vor etwa 5 bis 2 Millionen Jahren) im südlichen Asien entstanden ist. Prähistorische Formen der ausgestorbenen Gattung Leptobos dürften direkte Vorläufer oder zumindest nahe Verwandte gewesen sein. Reste des ersten Rinderverwandten mit Bison ähnlichen Merkmalen stammen aus Nordindien. Das als Probison dehmi bezeichnete Tier dürfte dort vor etwa 2 Mio. Jahren gelebt haben. Ähnliche Funde (Protobison kushkunensis) stammen aus dem Gebiet südlich des Großen Kaukasus. Als eine wesentliche Stammform der späteren Arten wird der im späten Pliozän aufgetretene Bison sivalensis (benannt nach dem Fundort in Indischen Sivalik Hills) angesehen. 


Basierend auf den umfangreichen rund 1 Mio. Jahre alten Funden aus dem thüringischen Untermaßfeld wird seit einigen Jahren Bison menneri als erster in Europa beheimateter Vertreter der Gattung Bison angesehen. Vermutlich wurden einige der zuvor hier auftretenden Vorformen im Laufe der allmählichen Abkühlung mit Beginn des Eiszeitalters (Pleistozän; vor ca. 1,8 Mio Jahren) von dieser schlanken und hochbeinigen Art abgelöst.  


Der bekannteste und wohl auch am weitesten verbreitete prähistorische Wisentverwandte ist der Steppenwisent (Bison priscus). 

Der mächtige und mit weit ausladenden kräftigen Hörnern ausgestattete Wisent übertraf seine heutigen Verwandten deutlich an Größe. In Europa ist dieses imposante Tier insbesondere für die Riß (vor 240.000-180.000 Jahren) und Würm-Eiszeit (vor 120.000 – 10.000 Jahren) kennzeinend. Wie Mammut, Wollnashorn und andere eiszeitlichen Tierarten war auch der Steppenwisent optimal an die Bedingungen der Kältesteppe angepasst. Während der Eiszeiten beweidete er in großer Zahl die ausgedehnten Graslandschaften des gesamten eurasischen Kontinents. Über die damals zwischen Ostsibirien und Alaska bestehende Landbrücke (Beringia) dehnte er sein Verbreitungsgebiet bis weit in den nordamerikanischen Kontinent hinein aus. 


Aufgrund seiner häufigen Darstellung in der eiszeitlichen Kunst dürfte der Steppenwisent für den damaligen Menschen von herausragender jagdlicher und auch symbolischer Bedeutung gewesen sein. Besonders bekannt sind in diesem Zusammenhang die Höhlenmalereien aus dem nordspanischen Altamira oder die Zeichnungen aus dem französischen Niaux und Rouffignac. 

Über das Aussehen des Steppenwisents geben aber nicht nur eiszeitliche Darstellungen  Auskunft. Beispiellos gut erhaltene Fossilien wurden aus dem Permafrostboden Sibiriens und Nordamerikas geborgen. Besonders bekannt wurde im Jahre 1979 „Blue Babe“, ein Fund aus der Umgebung des kanadischen Fairbank. Der Kadaver eines ausgewachsenen männlichen Steppenwisents blieb dort im Dauerfrostboden über mehr als 30.000 Jahre erhalten.   


Sicher ist, dass der Steppenwisent zu Beginn des Holozäns mit dem Ende der Eiszeit verschwunden ist. Obwohl oder gerade weil eiszeitliche Wisent- bzw. Bisonfossilien recht häufig sind - ein Drittel aller Säugetierreste im Permafrostboden wird der Gattung Bison zugerechnet - bleibt die weitere Abstammungsgeschichte der heutigen Wisente umstritten. Einerseits können die fossilen Belege einer oder bestenfalls wenigen Arten mit ausgeprägten morphologischen Variationen zugerechnet werden, andererseits werden darin auch zahlreiche eigenständige Arten vermutet. 


Einige Wissenschaftler vertreten daher die Ansicht, dass der heutige Wisent auf eine kleinere kurzhörnige waldbewohnende Art (Bison schoetensacki) zurückzuführen ist, die gleichzeitig neben der größeren und langhörnigen Art der offenen Landschaft lebte. Andere gehen davon aus, dass der heutige Wisent über eine Zwischenform (Bison priscus mediator) aus dem großen Steppenwisent hervorgegangen ist. Weitgehend unumstritten ist, dass der Wisent östlich seines geschichtlich bekannten Verbreitungsgebietes entstanden ist und sich erst im Laufe des Holozäns weiter nach Westen ausbreitete. (Dr. Johannes Riedl, 2020)

Verbreitung

Mit Ausnahme der nördlichen und südlichen Randgebiete kam der Wisent ursprünglich in ganz Europa vor. Bevölkerungswachstum und zunehmende Kultivierung der Landschaft sowie Bejagung führten bereits vor mehr als 1000 Jahren zum Rückgang der Population. Nach dem ersten Weltkrieg verschwanden die letzten freilebenden Tiere aus ihren Rückzugsgebieten in Polen und im Kaukasus.Der Wisent war damit bis zur Auswilderung einiger in Zoos und Gehegen nachgezüchteter Tiere im Jahre 1952 in freier Wildbahn ausgerottet.

 

In historischer Zeit war der Wisent fast in ganz Europa beheimatet. Er fehlte im äußersten Süden und Norden. Sein östliches Verbreitungsgebiet grenzte an die Wolga und den Kaukasus. Ursprünglich dürfte sich sein Verbreitungsgebiet aber nach Osten bis zur Mandschurei und Mesopotamien ausgedehnt haben. In Europa wurde durch den sich ausbreitenden menschlichen Kulturraum der Lebensraum der Wisente zunehmend zergliedert, so dass die Tiere aus ihren ursprünglichen Standorten verdrängt wurden und schließlich – auch als Folge einer zunehmenden und effektiveren Bejagung - ganz verschwanden. Mit Ausnahme der östlichen Vorkommen begann dieser Verdrängungsprozess zunächst in den Randbereichen des ursprünglichen Verbreitungsgebietes.


In mehreren Gegenden Europas ist das Vorkommen des Wisents durch historische Dokumente oder archäologische Funde belegt. Allerdings ist die Interpretation dieser Quellen ausgesprochen schwierig. Einzelknochen von Wisent und Rind sind in der Regel nicht zu unterscheiden, so dass eine eindeutige Zuordnung häufig unmöglich ist.


Darüber hinaus werden bis in die heutige Zeit die Bezeichnungen Wisent und Auerochse (Ur) verwechselt oder synonym verwendet, so dass auch aus historischen Quellen nicht immer eindeutig abzuleiten ist, welches der beiden großen europäischen Wildrinder gemeint ist. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür ist eine etwa um 1500 entstandene Zeichnung eines Wisents von Albrecht Dürer: Bei dem als Auerochse bezeichneten Tier handelt es sich zweifelsfrei um einen Wisent.


In Frankreich ist der Wisent durch aus den Vogesen stammende Funde bis zum 5. – 7. Jahrhundert belegt. Andere Quellen sprechen von Vorkommen in den Vogesen und Ardennen bis ins 14. Jahrhundert. In Schweden und England dürfte der Wisent spätestens im 11. bzw. 12. Jahrhundert verschwunden sein. An der Oder nahe Szczecin (Stettin) soll er sich bis ins 12. Jahrhundert gehalten haben und mit dem Jahr 1364 endgültig aus dem westlichen Pommern verschwunden sein. In Ostpreußen konnte der Wisent aufgrund staatlicher Schutzmaßnahmen bis 1755 überleben, dürfte aber in weiten Teilen Mitteleuropas bereits um 1500 recht selten gewesen sein. Im 16. Jahrhundert verschwanden auch die früher vermutlich umfangreichen ungarischen Bestände. In einigen Gebieten Rumäniens (Siebenbürgen, Ost-Karpaten), Moldawiens und Russlands kamen frei lebende Wisente dagegen in größerer Zahl noch bis ins 18. Jahrhundert vor. Die letzten freilebenden Wisente fielen Wilderen 1919 in Polen und 1927 im Kaukasus zum Opfer.


Als begehrtes Wild genoss der Wisent schon früh besondere Aufmerksamkeit und Schutz der Jagdherren, was dazu führte, dass bereits im 16. Jahrhundert Wisente in Gehegen gehalten wurden. Erste, allerdings erfolglose Auswilderungsversuche sind aus Mecklenburg (1689) und später aus Sachsen (1733) bekannt. Auch im heutigen Bialowieza-Nationalpark, wo der Wisent bis 1919 weitgehend freilebend vorkam, genoss er über mehrere Jahrhunderte als königliches Jagdobjekt besonderen Schutz. Gerade diese Tatsache, dürfte zum Überleben des Wisents bis ins 20. Jahrhundert entscheidend beigetragen haben. (Dr. Johannes Riedl, 2020)

Kennzeichen

Der Wisent, das größte frei lebende Landsäugetier Europas, kann eine Schulterhöhe von bis zu 2 Metern erreichen. Ausgewachsene Bullen erreichen ein Gewicht von 700 bis 1000 Kilogramm, Kühe werden etwa 400 bis 500 Kilogramm schwer. Typische Kennzeichen des Wisents sind der hohe Widerrist, das dichte dunkelbraune Fell mit rötlicher bis grauer Schattierung, die kräftigen und nach innen gebogenen Hörner sowie die an Kopf, Hals und Brust längere Behaarung.


Der Wisent ist der letzte Vertreter der Wildrinder und zudem die größte landlebende Wildtierart Europas. Ausgewachsene Bullen wiegen zwischen 700 und 900 kg. Einzelne Tiere können über 1000 kg schwer werden und eine Schulterhöhe von über 2 m erreichen. Kühe bleiben kleiner und erreichen ein Gewicht von 350 bis 500 kg. Die Gestalt des Wisent erinnert an die eines kräftigen Rindes mit massig ausgebildetem Vorderkörper und tiefer als die Rückenlinie getragenem Kopf. Charakteristisches Merkmal des Wisents ist der hohe Widerrist.

Die Grundlage dafür sind die langen Dornfortsätze der Brustwirbel. Der „Buckel“ des Wisents hat somit eine knöcherne Basis und besteht nicht wie beim Zebu oder Kamel aus Fettgewebe. Die Rückenlinie fällt stark und leicht S-förmig zur schwach ausgeprägten Hinterhand ab. Die Körperlänge ausgewachsener Tiere beträgt dabei zwischen 215 und 310 cm.

Wisente wirken von vorne oder hinten betrachtet ausgesprochen schmal. Ein Eindruck, der durch die relativ langen Gliedmaßen und die

ausgesprochen enge Fußung zusätzlich verstärkt wird. Ausgewachsene ziehende Bullen haben eine Schrittlänge von fast 160 cm. Die Fährtenbreite beträgt dabei nur 12 cm. 

Die relativ kleinen Hörner (Holme) des Wisents wachsen zunächst nach außen und krümmen sich dann aufwärts und nach vorne. Die Krümmung kann insbesondere bei älteren Kühen so stark sein, dass die Hornspitzen wieder aufeinander zuwachsen. Die Hörner der männlichen Tiere sind an der Basis kräftiger ausgebildet und in der Regel weniger stark nach innen gekrümmt.

Wisente haben ein dichtes dunkel- bis goldbraunes Fell mit rötlicher bis grauer Schattierung. Die fein gekräuselte Unterwolle ist graubraun, die darüber liegenden kräftigeren Deckhaare sind dunkler. An Kopf, Brust und Widerrist ist die Behaarung länger. Der Bart ist weniger als beim amerikanischen Bison ausgeprägt und geht fast stufenlos in die Halsmähne über. Die Schwanzbehaarung wird zur Spitze hin länger. 

Neugeborene Wisentkälber sind rötlichgrau gefärbt, nehmen aber bereits im ersten Jahr die Fellfarbe der erwachsenen Tiere an. Beim Fellwechsel löst sich das dichte Unterhaar großflächig ab und bleibt längere Zeit in umfangreichen Fetzen an den langen Deckhaaren hängen. (Dr. Johannes Riedl, 2020)

Zoologische Systematik und Verwandtschaft

Der Wisent (Bison bonasus) wird innerhalb der Ordnung der Paarhufer (Artiodactylae) zur Familie der Hornträger (Bovidae) und dort zur Unterfamilie der eigentlichen Rinder (Bovinae) gezählt. Mit seinem engsten Verwandten, dem nordamerikanischen Bison (Bison bison), gehört er der Gattung Bison an. 

  

Aufgrund seines Erscheinungsbildes ist der Wisent (Bison bonasus) unschwer als Verwandter der Rinder zu erkennen. Wie alle Rinder wird er innerhalb der großen Ordnung der Paarhufer (Artiodactylae) zur Unterordnung der Wiederkäuer und dort zur Familie der Hornträger (Bovidae) gezählt. Letztere wird in 12 Unterfamilien unterteilt. Einedavon sind die eigentlichen Rinder (Bovinae), zu der die Gattungen Bubalus (asiatische Büffel), Syncerus (afrikanische Büffel) und Bos (mit Auerochs, Yak, Gaur, Banteng) zählen. Der Wisent bildet innerhalb der eigentlichen Rinder zusammen mit seinem engsten Verwandten, dem nordamerikanischen Bison (Bison bison) die Gattung Bison. 

 

Von den ursprünglich drei bekannten Unterarten des Wisents ist nur noch der Flachlandwisent (Bison bonasus bonasus) in Reinform vorhanden. Vom bis in die 20er Jahre des letzten Jahrhunderts im Kaukasus beheimateten Berg- oder Kaukasuswisent (Bisonbonasus caucasicus) überlebte ein Bulle, der mit Flachlandwisentkühen verpaart wurde und somit zu einem geringen Anteil in einer Linie der heutigen Wisente noch vertreten ist. Eine in den Karpaten und Transylvanien vorkommende Unterart (Bison bonasus hungarorum) soll bereits Ende des 18. Jahrhunderts ausgestorben sein.  

 

Die Verwandtschaftsbeziehungen der Rinder untereinander sind seit längerer Zeit Gegenstand der wissenschaftlichen Diskussion. Da Wisent und Bison unter einander fruchtbare Nachkommen zeugen können, wurde von einigen Zoologen vorgeschlagen, sie zu einer Art zusammenzufassen. In einigen Fällen gelang es auch Wisente mit Hausrindern zu kreuzen. Daher wird auch die Zuordnung von Wisent und Bison zu einer eigenen Gattung in Frage gestellt und angeregt den Wisent der Gattung Bos zuzuordnen. 


Allerdings sind selbst aus Gebieten in denen Wisent und Hausrind den selben Lebensraum nutzen keine spontanen Kreuzungen zwischen beiden Arten bekannt. Kreuzungskälber aus einer Paarung von Wisent und Hausrind sind ähnlich selten wie Kreuzungsprodukte aus Tieren verschiedener Gattungen. Aufgrund einer nur selten stattfindenden Befruchtung und hoher Verluste während der Embryonal- und Fetalentwicklung bringen nur etwa 5 % der von einem Wisentbullen gedeckten Hausrindkühe ein Kreuzungskalb zur Welt. 


Von den meisten Wissenschaftlern wird der Wisent daher nach wie vor einer eigenen Gattung oder Untergattung zugeordnet. Aufgrund deutlicher Unterschiede im Körperbau sowie der räumlichen Trennung der natürlichen Vorkommensgebiete wird er mehrheitlich als eine eigene und vom amerikanischen Bison verschiedene Art betrachtet. (Dr. Johannes Riedl, 2020) 

Lebensraum und Ernährung

Wisente benötigen als große Pflanzenfresser einen Lebensraum mit ausreichend dichter verwertbarer Vegetation. Natürliche Lebensräume sind offene und halboffene Landschaften sowie lichte Laubwälder mit dichter Krautschicht. Die frei lebenden Herden nutzen zur Nahrungsaufnahme bevorzugt Lichtungen und Waldweiden aber auch landwirtschaftlich genutzte Grünlandflächen. Wälder werden als Rückzugzugsraum genutzt. 

 

Üblicherweise wird der Wisent als ein Waldrind angesehen. Nach bisheriger Ansicht ist sein bevorzugter Lebensraum im Gegensatz zum Amerikanischen Bison nicht die offene Graslandschaft sondern der primäre Misch- und Laubwald, der mit feuchten Lichtungen, gut entwickeltem Unterholz oder einer reichen Krautschicht durchsetzt ist. Diese Einschätzung stützt sich in erster Linie auf Beobachtungen an freilebenden aus dem Urwald von Bialowieza in Polen und anderen Rückzugsgebieten, in denen sich diese Tierart in den letzten Jahren noch halten konnte. Sie zeigen auch, dass die Nutzung des zur Verfügung stehenden Habitats von der Jahreszeit und dem damit verbundenem Nahrungsangebot, aber auch von äußeren Einflüssen abhängig ist. Mischwälder mit dichtem Bodenbewuchs werden besonders intensiv genutzt. Im weißrussischen Teil des Urwaldes werden die Tiere oft auf den dort wesentlich häufigeren großen Lichtungen angetroffen. Daneben suchen die Tiere insbesondere im Sommer die umfangreichen sumpfigen Gebiete auf, was teilweise auch auf die Beunruhigung aufgrund steigender Besucherzahlen zurückgeführt wird. Die im Kaukasus beheimateten Tiere halten sich im Sommer in hochgelegenen Laubwäldern und Bergwiesen, im Winter in weiter talwärts gelegenen Laub- und Nadelwäldern auf. 


Ob der Wisent natürlicher Weise ein Waldbewohner ist, wird insbesondere in den letzten Jahren zunehmend in Zweifel gezogen. Zahlreiche Beobachtungen sowohl an freilebenden als auch in Gehegen gehaltenen Herden ergaben, dass Wisente sehr wohl offene Flächen zur Nahrungsaufnahme und Ruhe nutzen, wenn sie ihnen in ausreichendem Umfang und ohne Störung zur Verfügung stehen. Es wird daher angenommen, dass der Wisent durch den Einfluss des Menschen aus den ursprünglich von ihm bewohnten weitaus offeneren Landschaften verdrängt wurde und sekundär unzugänglichere Rückzugsräume besiedelte. Mit Blick auf die ursprüngliche Verbreitung des Wisents bzw. sein Überleben im Laufe der letzten Jahrhunderte zeigt sich demnach auch, dass die vielfach als natürliche Lebensräume bezeichneten Gebiete eben gerade jene Gegenden waren, in denen der Wisent den Einflüssen der sich ausbreitenden Zivilisation entgehen konnte oder als Jagdobjekt einem besonderen Schutz unterlag. 


Der Wisent ist durch sein Gebiss und seinen Verdauungsapparat als Gras- und Raufutterverwerter gekennzeichnet. Er entspricht daher seiner Physiologie nach weitgehend dem Hausrind. Dem entsprechend besteht seine Nahrung zum größten Teil aus Gräsern, Seggen und Kräutern. Blätter und Rinde machen nur einen sehr geringen Anteil der Nahrung aus und werden bevorzugt im Winter und zeitigem Frühjahr aufgenommen. Je nach bewohntem Habitat können Wisente ein sehr breites Nahrungsspektrum nutzen. Im Vergleich zum Rind sollen beim Wisent die Verdauungskoeffizienten für Zellulose und andere Nahrungsbestandteile höher liegen. Daher kann er verholzte und ältere Pflanzenbestandteile besser nutzen. Der tägliche Nahrungsbedarf wird je nach Geschlecht bei erwachsenen Tieren auf 25 bis 45 kg frische Pflanzenmasse geschätzt.  Aus traditionellen Gründen, aber auch um die Population stabil und Schäden an den Bäumen in Grenzen zu halten, werden die im Urwald von Bialowieza lebenden Wisente im Winter zugefüttert. (Dr. Johannes Riedl, 2020)

Verhalten

Wisente sind tagaktive Herdentiere. Die Größe einer Herde umfasst dabei selten mehr als 20 Tiere. Die Herde wird von einer Leitkuh geführt. In diesen Gruppen leben die Wisent-Kühe, die Kälber und auch jüngere Bullen. Ältere Bullen sind oft Einzelgänger, oder bilden Gruppen von 2-3 Tieren. Sie kehren nur zur Paarungszeit im August bis Oktober zur Herde zurück. Innerhalb der Gruppe leben die Wisente in einer stabilen sozialen Rangordnung, die sich durch Drohverhaltensweisen des Ranghöheren und Ausweichen von Rangtieferen zeigt. 

Wisente sind frühestens mit 2 Jahren geschlechtsreif, die überwiegende Zahl der Kühe kalbt erst im 4.Lebensjahr. Die Kälber kommen nach einer Tragzeit von ca. 265 Tagen zur Welt. Wisente bekommen gewöhnlich nur ein Kalb, Zwillinge sind sehr selten. Die Wisentkuh sondert sich zur Geburt von der Herde ab und kehrt einige Tage später mit dem Kalb zur Herde zurück. Die Hauptgeburtssaison liegt in freier Wildbahn im Mai und Juni. Bei in Gehegen gehaltenen Wisenten werden häufig Kälber auch ausserhalb dieses Zeitraumes geboren. Die Kälber werden 6 – 8 Monate gesäugt. In der freien Wildbahn haben Bullen frühestens wenn sie ausgewachsen sind, also mit 5 – 6 Jahren eine Chance den dominanten Bullen zu besiegen und sich zu paaren. 

Der Tagesrhythmus der Wisente ist von Phasen der Futteraufnahme und des Ruhens, incl. des Wiederkäuens geprägt. Im Sommer liegen die aktiven Phasen eher in den frühen Morgenstunden, am Abend und auch während der Nacht. Im Winter verwenden die Tiere mehr Zeit für die Futteraufnahme, insbesondere bei geschlossener Schneedecke. 

Wisente haben einen guten Gehör- und Geruchssinn. Das Sehvermögen ist weniger gut, allerdings werden bewegte Objekte sehr gut wahrgenommen. Wisente fliehen bei Störungen nur über kurze Strecken und können dabei bis zu 60 km/h schnell werden. Untereinander verständigen sich die Tiere durch ihre Körperhaltung. Lautäußerungen sind sehr selten und bestehen aus einem einsilbigen tiefen Grunzen.  


Ausrottung, Erhaltungszucht, Wiederansiedlung

Unter dem Schutz der regionalen Herrscher konnte der Wisent in zwei natürlichen Vorkommen in Polen und im Kaukasus bis in die 20er Jahre des letzten Jahrhunderts überleben. Nachdem seine Ausrottung in freier Wildbahn absehbar war, wurde 1923 die Internationale Gesellschaft zu Erhaltung des Wisents gegründet. Ihr gelang es durch koordinierte Zucht der wenigen in Zoos und Gehegen gehaltenen Tiere, ein vollständiges Verschwinden des Wisents zu verhindern. Knapp 30 Jahre später gelang im polnischen Teil des Urwaldes von Białowieża die erste Wiederansiedlung des Wisents in seinem ursprünglichen Verbreitungsgebiet.


Der ursprünglich in nahezu ganz Europa beheimatete Wisent war in West- und Mitteleuropa bereits im 15. Jahrhundert aus den größten Teilen seines ursprünglichen Verbreitungsgebietes verdrängt worden. Als Hauptursache des Rückgangs ist die Kultivierung und Zergliederung des Lebensraumes sowie die unkontrollierte Bejagung anzunehmen. In einigen Rückzugsgebieten führten auch intensiv gehegte und daher stark zunehmende Rotwildbestände zur Nahrungskonkurrenz und trugen damit zum weiteren Rückgang der Wisentpopulation bei.


Unter dem besonderen Schutz der polnischen Könige bzw. der russischen Zaren überlebte die Unterart des Flachlandwisents (Bison bonasus bonasus) als freilebendes Wildtier im Urwald von Białowieża bis ins 20. Jahrhundert. Im Jahre 1914 umfasste der Bestand dort noch etwas mehr als 700 Tiere. Der erste Weltkrieg und die Wirren der Nachkriegsjahre führten innerhalb weniger Jahre zum vollständigen Zusammenbrechen der Population. Der letzte freilebende Flachlandwisent wurde 1921, anderen Quellen zufolge bereits 1919, getötet.


Der im nordwestlichen Kaukasus vorkommende Berg- oder Kaukasuswisent (Bison bonasus caucasicus) stand ebenfalls lange Zeit unter dem strengen Schutz der regionalen Herrscher. Anfang des 20. Jahrhunderts umfasste der Bestand der zuletzt in unwegsamen Bereichen des Kubangebietes in freier Wildbahn lebenden Wisente etwa 600 Tiere. Die schlechte Versorgung der Bevölkerung im Verlauf des ersten Weltkrieges sowie während der russischen Revolution und des Bürgerkriegs trugen dazu bei, dass die Bestände durch Wilderei zunehmend dezimiert wurden. Im Jahre 1927 wurde der letzte Kaukasuswisent in freier Wildbahn erlegt. Der Kaukasuswisent ist als reine Unterart seither ausgerottet.


Im Vordergrund der Bestrebungen den Wisent vor der Ausrottung zu schützen stand zunächst das Interesse die Tierart als Jagdobjekt zu bewahren. Frühe, allerdings erfolglose Bemühungen im 16. und 17. Jahrhundert den Wisent durch Gehegezucht und Auswilderung zu erhalten aber auch der Schutz der letzten freilebenden Herden sind vor diesem Hintergrund zu sehen.


Wesentlich für das Überleben des Wisents bis in 21. Jahrhundert war die Gründung der „ Internationalen Gesellschaft zu Erhaltung des Wisents “ im Jahre 1923. Das in seinen wesentlichen Teilen bis heute gültige Ziel der in Frankfurt/Main ansässigen Gesellschaft war, die in mehreren Ländern unter menschlicher Obhut gehaltenen Tiere durch koordinierte Zuchtarbeit zu vermehren und in geeigneten Lebensräumen wiederanzusiedeln. Eine von der Gesellschaft durchgeführte Bestandsaufnahme ergab, dass noch 54 zuchttaugliche Wisente mit eindeutig geklärter Abstammung in Tiergärten und Wildgehegen vorhanden waren. Spätere Nachforschungen zeigten, dass diese Tiere ursprünglich auf nur 12 Gründertiere zurückgehen. Die Grundlage der züchterischen Entscheidungen stellte das von der Gesellschaft herausgegebene Zuchtbuch dar. Geeignete Zuchttiere wurden in das „Reinzuchtregister“, das in den „Berichten der Internationalen Gesellschaft zur Erhaltung des Wisents“ veröffentlicht wurde, aufgenommen.


Nach dem 2. Weltkrieg wurde das „ European Bison Pedigree Book “ in Polen unter staatlicher Schirmherrschaft weitergeführt. Seit 1993 erscheint es unter der Herausgeberschaft des Białowieża Nationalparks. Das internationale Zuchtbuch enthält ein Verzeichnis der registrierten Zuchtstationen und der dort gehaltenen Wisente. Aktuell (Ausgabe 2002) sind 3.079 Tiere gelistet, die weltweit in 234 Zuchtstationen gehalten werden. Die 76 deutschen Zuchtstationen besitzen insgesamt etwa 440 Tiere. In Gehegen und Tiergärten gehaltene Tiere werden im Zuchtbuch unter Angabe von Geschlecht, Zuchtbuchnummer, Name, Abstammung, Geburtsjahr und Besitzer aufgeführt. Jeder Zuchtstation wird zudem eine kennzeichnende Buchstabenkombination zugeteilt, mit der auch der Name jedes dort geborenen Kalbes beginnt (z.B. „Don“ in Donna für Donaumoos). Der Name eines Tieres lässt somit Rückschlüsse auf den Geburtsort zu. Bei freilebenden Tieren wird im Zuchtbuch lediglich eine Standortbezeichnung und die Herdengröße angegeben. Nach wie vor wird die Population auf zwei Zuchtlinien aufgeteilt. Die Flachland-Linie umfasst ausschließlich Tiere der Unterart Flachlandwisent (Bison bonasus bonasus). Die Tiere der Flachland-Kaukasus-Linie sind Mischformen beider Unterarten. Wisente dieser Linie haben einen Anfang der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts eingekreuzten Kaukasuswisentbullen als Vorfahren. Da seither nur ein Kaukasuswisent eingekreuzt wurde, ist der genetische Anteil dieser Unterart an der heutigen Population verschwindend gering.


Erfolgreiche Zuchtarbeit, steigende Tierzahlen und das Vorhandensein geeigneter Lebensräume waren die Voraussetzung für eine Wiederansiedlung des Wisents in einigen Teilen seines ursprünglichen Verbreitungsgebietes. Das erste Auswilderungsprojekt wurde 1952 im Urwald von Białowieża unternommen. Aufgrund des Erfolges wurden weitere Wiederansiedlungen durchgeführt. Heute leben etwa 60% der im Zuchtbuch berücksichtigten Tiere in freier Wildbahn. Die 30 freilebenden Herden verteilen sich auf Litauen (40 Tiere, 1 Herde), Polen (644 Tiere, 5 Herden), Russland (272 Tiere, 9 Herden), Ukraine (405 Tiere, 8 Herden) und Weißrussland (532 Tiere, 7 Herden). (Dr. Johannes Riedl, 2005)

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